Eigentlich habe ich dieses Buch erst gar nicht lesen wollen, dann habe ich es trotzdem getan, weil mich ein paar Fragen, die sich an den Roman stellen lassen, näher interessierten. Ich wollte es dann zwischenzeitlich weglegen und habe es dann doch zügig zu Ende gelesen. Genug Gründe also, um über den Roman ein paar Worte zu verlieren.
Als die Marketingmaschinerie um den diesjährigen Buchpreis anzurollen begann und die Spekulationen mehr wurden, welche Titel denn nun auf dieser Longlist erscheinen würden, wurde auch Dörte Hansens Debütroman „Altes Land“ genannt. Weniger im Print-Feuilleton, als viel mehr in den einschlägigen Blogs und ihren verzweigten Kommentaren wurde aber zugleich auch wieder abgewunken. Ja, der Roman habe gefallen, er sei sehr eingängig und deshalb, Nein, er sei nicht literarisch genug für den Träger eines solchen Preises. So oder zumindest tendenziell so etablierte sich eine Art Grundkonsens zu „Altes Land“. Das war der Punkt, der ich interessierte. Was heißt denn „eingängig“, was macht ausreichende Literarizität aus?
Ich habe versucht, das für mich zu sortieren, und den Roman auch darauf hin gelesen. Der ist, so scheint mir, durchaus geschickt und unter gekonntem Zugriff auf moderne Erzählverfahren aufgebaut. Streng linear ist er nicht angelegt, sondern greift immer wieder zurück in die Vergangenheit und holt Erlebnisse und Erfahrungen der Figuren ein, um Zusammenhänge aufzuarbeiten. Das eine oder andere muss der Leser erst einmal für sich sortieren. Zusammengeführt werden nicht nur die Biographien zweier Frauen: Vera, das ostpreußische Flüchtlingskind, das einst in den Wirren des unmittelbaren Nachkriegs gemeinsam mit der Mutter in die Peripherie von Hamburg verschlagen wurde, und Anna, ihre Nichte, die jetzt gerade vor dem Scherbenhaufen einer Beziehung steht und nun mit ihrem kleinen Sohn auf dem Hof, den Vera alleine führt, auftaucht und sich dort einquartiert. Darum herum installiert die Erzählinstanz eine Menge von Figuren, die ein Tableau dieses Dorfes schaffen. Wer „Altes Land“ in die Tradition der Dorfromane rückt, wer die Region und die Landschaft, darüber hinaus das alte, renovierungsbedürftige Haus selbst, welches die beiden Frauen bewohnen, zu weiteren Protagonisten der Romanhandlung erklärt, wird dafür Gründe anführen können. Gerade dann, wenn nicht die Personen, sondern Landschaft und Natur in den erzählerischen Vordergrund gerückt werden, neigt der Erzählton zum Rhythmischen, nicht immer dem Pathos fern. Aber das ist gar nicht schlimm. Mangelnde Literarizität kann man dem Roman jedenfalls nicht entgegenhalten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir auf der mittlerweile feststehenden Longlist Romane finden, die diesbezüglich Dörte Hansens Erzähltext um manches nachstehen.
Trotz allem überzeugt mich der Roman nicht, und das aus mehreren Gründen. Der Roman firmiert nicht nur in den Verlagsanzeigen des Knaus Verlags und im Klappentext als Geschichte zweier „Flüchtlinge“. Das Nachkriegsschicksal Veras über diesen Begriff aber in Analogie zu setzen zu dem ihrer Nichte Anne beißt sich. Was Vera prägte, was sie nie hat ablegen können an Erfahrungen und Erinnerungsbildern von Krieg und Flucht, auch wenn sie sich als Zahnärztin hatte im Alten Land etablieren können, ist nicht vergleichbar mit Annes Erfahrung als verkrachte Musikerin und mit dem Scheitern ihrer Liebesbeziehung. Da werden Dinge auf eine Ebene gerückt, die man nicht auf eine Ebene rücken kann.
Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, so sind doch beide Lebensgeschichten traurige. Dass sie am Schluss ins Happy End einmünden, mag ich dem Roman nicht vorwerfen. Warum soll ein literarischer Text nicht mit einer zuversichtlichen Perspektive enden? Verwoben werden die Geschichten aber mit Lebenszusammenhängen aus dem großbürgerlichen Hamburger Milieu. Der Blick, den Dörte Hansen auf die Bewohnerklientel von Hamburg-Ottensen wirft, ist in seiner satirischen Überspitzung vergnüglich ätzend. Wie sie den saturierten Stadtflüchtling Burkhard Weißwerth als – Entschuldigung! – Arschloch entlarvt, entbehrt der Komik nicht. Was aber fehlt, ja beim Versuch schief geht, ist die Passung zwischen diesen unterschiedlichen Erzählebenen. Das satirisch Zugespitzte bleibt im Gesamtkorpus des Erzählten ein Fremdkörper.
Ein Weiteres und Letztes: Es gibt nahezu keine Figur, die nicht etwas höchst Schrulliges hat. Das gilt nicht allein für Vera und ihren Nachbarn Heinrich Lühr, wenn auch die beiden die ausgeprägtesten Vertreter des Eigensinnigen, Starrköpfigen, Eigenartigen, eben Schrulligen sind. Aber sie sind in ihrem Charakter zugleich zu glatt, zu ungebrochen, zu eindimensional. Ihre Verhaltensweisen sind eigen, aber überraschend oder gar befremdend sind sie nie.
Der Roman ist also zurecht kein Preisträger-Aspirant? Am Ende ist es egal. Wer wie Dörte Hansens Roman „Altes Land“ über Wochen die Spiegel-Beststellerliste anführt, der braucht die Marketingmaschine eines Buchpreises nicht, der hat schon Erfolg.
Dörte Hansen: Altes Land. Roman. – München: Albrecht Knaus Verlag 2015 (19,99 €)