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Eugen Ruge: Metropol

Wie anfangen? Wenn alle, so scheint es, gelobt haben. Wenn alles, so scheint es, gelobt wurde. Wenn man sich dem Loben nicht so recht anzuschließen vermag.

Der Wunsch war da und er war durchaus nicht klein, gar nichts zu Metropol zu schreiben, weil Aufschreibenswertes nicht einfiel. Dass man im Chor der Lobsängerinnen und Lobsänger nicht mitsingen kann, ist ja nicht zwingend eine Nachricht wert. Wäre es nicht einmal, käme sie aus berufenerem Mund. Aber da ist der gleich starke Wunsch, der Blog möge eine Gedankenspeicher eigener Lektüren sein und bleiben, auch wenn er sich nicht immer einlösen lässt. Schließlich ist da zudem die Frage, warum die eigene Wahrnehmung von Eugen Ruges jüngstem Roman doch so anders ist als der breite Strom der, nicht selten begeisterten, Zustimmung, und das obwohl man bisher die Bücher des Autors sehr gerne gelesen hat, von sich selbst annimmt, seiner Literatur gewogen zu sein.

Geht man von der Zeit aus, in der die Romanhandlung spielt, so stellt sich bei den meisten Leserinnen und Lesern wohl tatsächlich der Gedanke ein: Ach ja, da war mal was. Die grausame Säuberungswelle innerhalb der sowjetischen Machtelite, die Stalin initiierte. Sie erlebte 1936 und in den beiden Folgejahren ihren Höhepunkt; ihr fielen Zehntausende von Menschen zum Opfer. Aber interessiert uns heute noch der Stalinismus und seine barbarischen Auswüchse? Kann man dessen Aufarbeitung nicht den Russen überlassen? Stellen sich uns nicht andere, drängendere Probleme?

Derlei Gedanken beim Beginn der Romanlektüre werden hier und da zum Aufhänger genommen, um umso deutlicher darauf hinzuweisen, dass es Ruge gelänge zu zeigen, dass uns die Fragen sehr wohl etwas angehen, auch dann, wenn der Stalinismus nicht zu unserer eigenen historischen Erblast gehöre. Dem kann und soll gar nicht widersprochen werden, es hebt ein anderes Problem aber nicht auf. Dazu wird gegen Ende noch etwas zu sagen sein.

Die Handlung des Romans versetzt den Leser in die Zeit zwischen August 1936 und Februar 1938. Sie beginnt mit einer Urlaubsreise des Ehepaars Charlotte und Wilhelm Germaine ans Schwarze Meer und endet mit der überraschenden Ausreisegenehmigung für die beiden aus der Sowjetunion nach Frankreich. Die Zeit dazwischen verbringen sie als „Gäste“ im berühmten Moskauer Hotel „Metropol“ und warten – ja, worauf?

Charlotte und Wilhelm, deren Nachname Germaine ein Deckname ist, waren Mitarbeit des Auslandsgeheimdienstes OMS der Komintern, waren von Dienst suspendiert und aufgefordert worden, in das Hotel zu ziehen. Dort leben sie in einem Zimmer, Zimmer 749, zeitweise in unmittelbarer Nachbarschaft zu Lion Feuchtwanger, der während der Moskauer Prozesse dort wohnte und – wie seit geraumer Zeit bekannt und unlängst sorgfältig dokumentiert – das, was dort ablief, auf ganz unrühmliche Weise publizistisch begleitete.

Die Germaines waren in den Malstrom der Verdächtigungen geraten, weil sie, eher flüchtig, einen vermeintlichen Verschwörer persönlich kannten, der mittlerweile verurteilt und hingerichtet worden war. In den rund siebzehn Monaten, die sie im „Metropol“ verbringen, leben sie in der permanenten Angst, dass auch ihnen der Prozess gemacht wird, dessen Ausgang von vorne herein klar wäre. Sie geraten dabei dauerhaft in eine aufreibende und psychisch immens belastende Situation, auch und nicht zuletzt des Selbstzweifels, weil sie sich nach wie vor, immer noch und bis zum Ende als überzeugte Kommunisten verstehen. Sie sind von der Richtigkeit der Ideologie und des durch Stalin eingeschlagenen Wegs im Grundsätzlichen überzeugt.

Dass Eugen Ruge die Geschichte seiner Großmutter erzählt und einen Erzählstrang aus seinem Erfolgsroman In Zeiten des abnehmenden Lichts aufnimmt, ist hinlänglich bekannt. Es erscheint einleuchtend, dass der ursprüngliche Plan, diesen Strang in den Roman zu integrieren, das Erzählprojekt gesprengt hätte. Darüber, über die sich anschließenden Recherchen und die Ausarbeitung von Metropol gibt der Autor im Epilog eingehend Auskunft. Interessanter als dieser Aspekt ist hier deshalb vielleicht auch das Erzählverfahren, mit der er das biographische Material bearbeitet und gestaltet.

Der personale Erzähler konzentriert sich auf drei Figuren. Den größten Raum nimmt dabei die Perspektive Charlotte Germaines ein. Es ist dabei letztlich die Sichtweise des Opfers, aus der der mehrmonatige Alltag der Ungewissheit dargestellt wird. Ihr Mann Wilhelm, den die Situation psychisch noch mehr angreift, wird nur aus Charlottes Perspektive dem Leser nahegebracht. Die zweite Erzählebene gehört Wilhelms erster Frau Hilde Tal – auch hier handelt es sich wieder um einen Decknamen -, die als Sekretärin beim OMS arbeitete. Sie gehörte zu jenen, die glaubten, durch die Denunziation anderer sich selbst retten zu können und dann doch der Terrormaschinerie zum Opfer fielen. Schließlich lernt man noch den obersten Militärrichter Wassili Wassiljewitsch Ulrich kennen, der über 30.000 Todesurteile unterschrieb. Ihn zeigt der Erzähler vor allem als Privatmann und entlarvt auf diese Weise dessen abgrundtiefen Zynismus.

Freunde aus dem Lesekreis, Mittsechziger, begründeten ihre eigene Begeisterung für den Roman unter anderem damit, dass für sie, für die selbst in einer Phase ihres Lebens der Sozialismus als eine glaubwürdige Alternative zum Etablierten wahrgenommen worden sei, die Verzweiflung und die Selbstzweifel der Germaines vollkommen nachvollziehbar gewesen sei. Imponiert habe sie auch die Darstellung der bedrückenden Untätigkeit, in die die Protagonisten hineingezwungen worden seien.

Mir leuchtet ein, dass man zu einem solchen Leseeindruck kommen kann. Mich aber hat die Darstellung nicht bedrückt gemacht, mich hat sie über weite Strecken gelangweilt. Die Untätigkeit, die mit dem Warten im „Metropol“ auf das einherging, was drohte und vielleicht kommen mochte, war ja nicht nur eine oktroyierte, es war auch eine angenommene und akzeptierte. Ich gestehe: mir blieb das Verhalten der Figuren, die sich nach außen hin widerstandsfrei ihrer Situation und ihrem Schicksal ergaben, fremd und es ist mir bis zum Ende fremd geblieben. Den Erzählstrang, der den Ulrich in den Mittelpunkt rückte, halte ich auch im zeitlichen Abstand zum Lektüreende immer noch für überflüssig. Ich will nicht behaupten, der Stalinismus gehe uns nichts an. Erst recht liegt es mir fern anzunehmen, die inneren Zurichtungen und Anpassungen, denen sich die Figuren unterziehen, seien uns Heutigen fremd. Aber ihre furchtbaren Konsequenzen sind literarisch doch schon so oft aufgearbeitet, dass mir deren Schilderung keine wirklich neuen Einsichten oder Sichtweisen ermöglichte.

Und wenn man eindringlicher nachvollziehen möchte, welche Auswüchse der stalinistische Terror annahm, dann empfehle ich, will man zu einem Roman aus jüngerer Zeit greifen, Christoph Heins Trutz. Bei allen Einwänden, die ich gegen diesen Roman hatte und habe, erschien er mir doch immer noch erschütternder und im Kern der Problematik eindringlicher als diese ausgefabelten Selbstzweifelkammerspiele in Metropol. Nein, für die Fortsetzung der Lobgesänge habe ich keinen Grundton gefunden.


Eugen Ruge: Metropol. Roman. – Hamburg: Rowohlt Verlag 2019.

Grundlage für das Beitragsbild: Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay